Der Jesus-Chat

Die Online-Beichte gibt es ja schon länger, schließlich spricht der Herr: „Klicke du mir nach; denn siehe, ich will Menschen-Phising machen.“ Und wenn es nicht der Herr war, dann war es der KI-Programmierer.
Chat/GPT macht es jetzt sogar möglich, direkt mit Jesus zu kommunizieren. Selbstverständlich nicht mit dem realen Sohn Gottes, aber doch mit einem Computer, der das blitzschnelle Heraussuchen passender Bibelstellen so gut beherrscht wie den Small Talk. Weil aber die KI mit wohlklingender Stimme auf alle Fragen salbungsvoll Tipps gibt, die mit einem Bibelzitat enden, fällt es kaum ins Gewicht, dass dieser Jesus eine Maschine ist.

Immerhin, in Zeiten fehlender Pfarrer-Fachkräfte kann so eine KI günstig diese Lücke füllen. Die Problematik des Mißbrauchs der jungen Kundschaft entfällt auch, und wenn nach erfolgreicher Wiederauferstehung von ABBA demnächst das erste Jesus-Hologramm auf einer Kanzel steht und aus der ihm eingespeicherten Bibel plus 300 000 eingescannten Predigten aus den letzten Jahren etwas Neues zusammenstöpselt, spätestens dann werden sich die Kirchen wieder füllen. Zumindest, bis der erste Reiz verflogen ist.

Von einer Privatradio-Station gefragt, wie der „Wasser-zu-Wein-Trick“ funktioniert, verwahrt sich der Online-Jesus freundlich, aber bestimmt, mit Tricks zu arbeiten. Vielmehr, so erklärt er mehr oder weniger glaubhaft, handele es sich um ein Wunder.
Wunder hin oder her, der Online-Jesus versteht auch etwas von Marketing. Schnell ist das Limit erreicht. Nun muss man rund fünf Stunden pausieren, bevor man wieder chatten kann. Außer man teilt die App mit Freunden, dann hat man weitere vier Fragen gut. «Jesus», «Maria» und «Josef» geben ihre Ratschläge übrigens gratis. Die meisten Apostel und Propheten hingegen, aber auch Satan (!), der sich reingeschlichen haben muss, wie einst Wallraff bei der BILD-ZEITUNG, gehören zur Premium-Version. Sie verlangen für Antworten 2 Dollar 99 pro Monat.
Es steht allerdings zu befürchten, dass es dem Online-Jesus zumindest vorerst noch an der nötigen Perfektion mangelt, die man für die angestrebte göttlichen Unfehlbarkeit erwarten darf.

Hierzu unser abgeschlossenes Kurzdrama:

Geschäftsführer des Start-Up-Unternehmens „Text with Jesus“ zu seiner Belegschaft:
„Der Jesus hat schon wieder auf die Frage nach Priesterehen mit der Gegenfrage „Ist Weibsvolk anwesend?“ geantwortet und eine rasche Steinigung empfohlen. Und anschließend hat er „Always look on the bright side of life“ gesungen. Welcher Vollidiot hat statt dem Hollywood-Bibel-Epos den Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ einprogrammiert?“
Betretenes Schweigen.
Vorhang.

Natürlich lässt sich dieses Prinzip auch weiterspinnen. Da ist zukünftig kein Bereich mehr sicher.
Ich bin gespannt auf den Homer-Simpson-Chatpartner, der mir Tipps zur Kindererziehung gibt. Und ob sich eine digitale Finanzbeamtin durchsetzt, die mir in ihrer kostenlosen Version erzählt, dass die pünktliche Steuerzahlung des Bürgers Pflicht sei und in der kostenpflichtigen Premiumversion Hinweise zur Steuervermeidung gibt.

Mein Chat/GPT-Wunschtraum aber ist und bleibt ein Dr. Edmund Stoiber, der mit seinem holografischen Ebenbild über sprachliche Ausdrucksformen diskutiert.
Wem von den beiden wohl dabei zuerst die Sicherungen durchbrennen würden? Ich möchte nicht drauf wetten.





Danke für unseren Leser Helmut Saalfrank für den Hinweis auf "Text with Jesus"